Je länger mein Leben andauert, desto öfter fallen mir die Sätze der Altvorderen aus meiner Kindheit ein. Sätze, die ich damals aus tiefstem Herzen gehasst habe, denn sie unterbanden meine Lust am Leben, schränkten mich in meinem Handeln ein und zeigten ethische und moralische Grenzen auf. Wer von meinen Lesern selbst mal jung war, wird verstehen was ich meine. Ich hatte nicht übel Lust, den ständigen Mahnern und Miesepetern eine vor den Latz zu ballern, schließlich wollte ich meine Erfahrungen selbst machen und nicht einfach so die Werte und Richtlinien der Alten übernehmen. Und ich wollte Spaß haben. Zu jedem Tag und zu jeder Stunde. Komme, was da wolle. Ich wollte leben, frei sein, Konventionen über den Haufen rennen!

Das genau das der Knackpunkt war, habe ich lange nicht begriffen. Denn manchmal folgt dem Spaß der bittere Ernst. Vor allem, wenn man wie ich damals, nicht viel nachdenkt und einfach mal macht. Mit meinen Befreiungsbemühungen war ich nicht allein. Zusammen mit Freunden und Freundinnen schlug ich mir den Weg zu einem selbstbestimmten Leben frei. Mit Worten, die Machetenhieben glichen, hauten wir auf alles drauf, was uns störte. Leitsätze von Eltern oder Erzieher wurden kurz und klein geschlagen: wir wußten alles besser!

Einen Satz wie „bis einer heult“ konnten wir nicht gebrauchen. 

Wir liefen Schlittschuh auf nicht so richtig zugefrorenen Seen und hatten oftmals großes Glück, nicht in das Eis einzubrechen. Wir fuhren zu dritt ohne Helme auf einem Mofa und über uns schwebten unsere Schutzengel. Wir soffen ohne Hemmungen und keiner von uns musste ins Krankenhaus. 

Die möglichen Auswirkungen unseres Handelns wurden uns erst viel später bewußt. Erst, wenn wir von anderen Jugendlichen hörten, die weniger Glück hatten, wurde uns klar, in welche Gefahr wir uns gebracht hatten. 

„Bis einer heult“ war vielleicht doch kein so destruktiver Satz wie zunächst angenommen.

Wenn man davon ausgeht, dass jedes Handeln spür- und messbare Folgen hat, so läßt sich dieser Satz durchaus als Aufforderung zum Nachdenken verstehen. 

„Bis einer heult“ ist eine Mahnung. 

Im Moment, möchte ich sie lauter als es die Altvorderen je gekonnt hätten, in die Welt rufen!

Wir alle, jedenfalls die Menschen aus den reicheren Ländern der Erde, benehmen uns wie Teenager. Wir wollen unseren Spaß, wir wollen auf keinerlei Komfort verzichten, wir wollen unser Leben geniessen. Wir machen uns keine Gedanken, ob oder welche Folgen unser Handeln haben könnte. „Man gönnt sich ja sonst nichts“ ist die Devise.

Wir bauen in Monokulturen Getreide, Mais und anderes Viehfutter an, bis der Boden vollkommen ausgelaugt ist. Anstatt nun dem Ackerboden eine Regenerationspause zu gönnen, hauen wir in großen Mengen Kunstdünger auf die Erde. Wichtig ist nämlich der Ertrag und die Einnahmen aus der Feldwirtschaft. Durch die intensive Agrarwirtschaft wird dem Boden in kurzer Zeit alle Kraft entzogen und dafür jede Menge Geld in die Taschen der daran verdienenden Konzerne gespült. Die Bauern selbst sind dabei nur ein kleines Rädchen im großen Getriebe und verdienen gerade mal so ihren Lebensunterhalt.

Bis einer heult!

Wir haben den Anspruch mindestens einmal im Jahr eine große Reise zu machen, setzen uns bequem in den Flieger und baumeln ein paar Stunden später mit den Füßen im Wasser. In den ansässigen Hotels möchten wir natürlich einen Pool und jeden Tag frische Handtücher auf den Zimmern. Gerade in Regionen, die ohnehin mit Wasserknappheit zu kämpfen haben, hat das ökologische Folgen. Die interessieren uns als Reisende jedoch nicht so sehr. Wir kippen lieber noch einen Eimer Sangria.

Bis einer heult!

Auf den Malediven weiß man z.B. zwischenzeitlich nicht mehr wohin mit all dem Müll, den die Reisenden verursachen. Nun werden im Meer riesige Inseln aus Abfall aufgehäuft. Diese Inseln geben langsam die in ihnen gelagerten Schadstoffe ins Meer ab und sie verändern die Meeresströmungen und bedrohen damit Riffe, Atolle und das Leben darin. 

Bis einer heult!

Durch die weltweite Mobilität verbreiten sich konsequenterweise auch Krankheiten und tierische Schädlinge wesentlich schneller. Europäische Flüsse voller Krabben, die ihren natürlichen Lebensraum in Asien haben, und deren Ökosystem überhaupt nicht mehr funktioniert. Krankheiten, die von Wildtieren auf Menschen überspringen und in deren Folge die Medizin an ihre Grenzen gelangt. 

Bis einer heult!

Um Waren schneller von A nach B zu transportieren, wurden viele Flüsse begradigt und damit schiffbar gemacht. Niemandem sollte es an etwas mangeln. Allerdings hat man durch diese Maßnahmen jede Menge natürliche Hochwasserzonen entfernt. Man hat stattdessen Straßen und Bahntrassen darauf gebaut. Die Leute sollen ja schnell irgendwohin kommen. Zur Arbeit zum Beispiel. Damit sie die Waren, die von A nach B transportiert werden auch kaufen können.

Kommt es dann, wie in den letzten 10 Jahren, immer mehr zu Unwetterereignissen, schwellen die Flüsse an und überfluten das Land.

Welche furchtbaren Auswirkungen unser Handeln und genauso unser Unterlassen hat, sehen wir in den aktuellen Bildern im TV.

Wenn wir Glück haben. Wer Pech hat, wohnt in den betroffenen Gebieten. Wer Pech hat, hat sein gesamtes Hab und Gut verloren, trauert um Angehörige und weiß nicht, wie es weitergehen soll.

„Bis einer heult“ ist also jetzt. Wir haben es soweit ausgereizt und nun fließen bittere Tränen. Was hätten wir in der Vergangenheit nicht alles anders und besser machen können. Aber wir wollten ja unseren Spaß und haben sämtliche Warnungen ignoriert.

Die Fehler der letzten Jahrzehnte können wir vermutlich nicht ungeschehen machen und es ist vertane Energie, die Schuld an bestimmten Versäumnissen jemandem zuzuschieben. Aber vielleicht sollten wir uns endlich einmal überlegen, was wir gemeinsam für die Zukunft tun können. „Bis einer heult“ ist eben nicht nur ein Satz, den nur Mahner und Miesepeter aussprechen, sondern ein Satz, der Verantwortung einfordert. 

Wir müssen uns entscheiden, ob wir lieber kurzfristig viel Geld an irgendwelche Aktionäre ausschütten wollen, oder ob wir den kommenden Generationen eine lebensfreundliche Welt übergeben wollen.

Es muss überlegt werden, mit welchen Maßnahmen Flut- und Dürrekatastrophen eingedämmt werden können. Ganz vermeiden werden wir sie in den nächsten 50 Jahren ohnehin nicht können. Wir müssen uns überlegen, wie sich das Weltklima auf die Migration der Menschen auswirkt und wie wir die gesamte Bevölkerung der Erde halbwegs satt bekommen. 

Vielleicht sollten wir auch endlich aufhören, die Welt in „westlich geprägte Länder“ und „dritte Welt“ zu kategorisieren. Wir sind EINE Welt! Entweder wir arbeiten gemeinsam an den Lösungen oder wir verkacken es eben. 

Wir, die nunmehr 40 bis 70jährigen, wir sind jetzt die Altvorderen! Wir haben nun die Chance, der nachfolgenden Generation Gehör zu schenken und ihnen die Basis für ein selbstbestimmtes Leben und Arbeiten zu bereiten. Ich persönlich glaube nämlich, dass die „Jungen“ schwer auf Zack sind und ganz genau wissen, wie sie ihre Zukunft gestalten wollen.

Sie wollen z.B. den Klimaschutz nicht „den Profis“ überlassen. Man kann es ihnen nicht verdenken.

Ich jedenfalls möchte meinen Enkeltöchtern nicht eines Tages schulterzuckend sagen müssen, wir „hätten es nicht besser gewußt“. 

Wir wissen alle im Grunde ganz genau, was zu tun ist. Also packen wir es endlich mal an.

Bis vielleicht dann mal wieder einer lacht!

Text: A. Müller