Wir sind so dumm! Wir alle, als Gemeinschaft betrachtet, haben in den letzten 1,5 Jahren nichts gelernt.

Nullkommanix!

Wir sind dumm genug, um wirklich zu glauben, uns beträfe die Situation nicht. Die einen denken, DIE IMPFUNG schütze sie vor allen Malaissen, die anderen glauben, es gäbe eine große Weltverschwörung, quasi ein Großreinemachen innerhalb der Menschheit. Sie glauben, die Pandemie würde dazu benutzt werden, Menschen auszutauschen. Gegen wen? Gegen noch Dümmere?

Währenddessen mutiert das Virus fröhlich vor sich hin und holt sich die Alten, die Schwachen, die Kranken und ab und an mal einen für vital gehaltenen Mittdreissiger. Es scheint sich jedoch niemand so recht daran zu stören. Wir schauen zwar auf die täglichen Coronazahlen in den Nachrichten, murmeln „och…“ und planen derweil unseren nächsten Urlaub oder die nächste Freizeitaktivität.

Scheiß auf die Toten! Scheiß auf die Kranken! MICH betrifft’s ja nicht. ICH bin schließlich sicher.

Wichtig scheint nur zu sein, ob das geplante Fest, der gebuchte Urlaub stattfinden kann. Corona wird allenfalls als Spielverderber und Störfaktor wahrgenommen. 

Dabei hat uns die Wissenschaft seit Beginn der Pandemie nie im Unklaren gelassen. Nahezu täglich wurden wir mit neuen Erkenntnissen versorgt. Dass sich wissenschaftliche Erkenntnisse auch mal widersprechen, liegt dabei in der Natur der Sache. Viele haben das bis heute nicht begriffen. Als endlich ein Impfstoff gefunden und entwickelt war, betonte die Wissenschaft wiederholt: der Impfstoff schütze lediglich vor einem schweren Verlauf der Krankheit, man könne sich trotzdem infizieren und das Virus weitergeben.

Doch da haben wir schon nicht mehr zugehört. Wir wollten endlich wieder frei sein. Was kümmerte uns das Kleingedruckte? Genau: einen Scheißdreck kümmerte es uns.

Insgeheim haben wir es vielleicht auch gar nicht so schlimm empfunden, jemanden ohne Impfschutz anzustecken. „Die Ungeimpften“ sind ja sowieso alle strunzdumm, denken quer oder erfinden täglich neue Verschwörungstheorien. Geschieht denen doch recht!

Hätten wir in unserer Wut mal nachgedacht, wäre uns vielleicht aufgefallen, dass nicht jeder ohne Impfung die Spritze grundsätzlich ablehnt. Aber wir denken halt einfach viel zu wenig nach. Verdrängen ist wesentlich bequemer.

So haben sich vermeintlich Geschützte zu lange und zu oft ihre Freiheiten genommen. Den Preis dafür zahlen nun wieder einmal die Pflegekräfte in den Krankenhäusern. Seit 1,5 Jahren fahren die ohnehin schon am Limit Arbeitenden weitere Sonderschichten, schlafen häppchenweise in den Kliniken auf dem Boden, weil es sich nicht lohnt vor der nächsten Schicht noch heimzufahren. Sie drehen Patienten vom Rücken auf den Bauch, schieben Beatmungsschläuche in Hälse und können oft nur noch das Sterben begleiten. Wir klatschen und denken uns unseren Teil. Dass wir das nie machen könnten und dass die ja auch irgendwie selber schuld sind. Augen auf bei der Berufswahl!

Um dieses Elend zu lindern könnten wir jedoch durchaus unseren Teil beitragen: wir könnten uns regelmäßig testen. Trotz Impfung! Das brächte uns selbst etwas Sicherheit und würde andere Menschen gleichzeitig schützen. Ist das zuviel verlangt? 

Stattdessen wälzen wir lieber die Verantwortung auf jene ab, die nicht geimpft sind. 

Mir gehen die Querdenker, die Schwurbler, die Verschwörungstheoretiker auch auf den Zeiger. Die Gefährlichkeit dieser Bewegungen darf natürlich nicht unterschätzt, sonder muss konsequent bekämpft werden. Dennoch muss ich mir die Frage stellen: Wie tragfähig ist meine moralische Basis, wenn ich es riskiere, das Virus weiter zu verbreiten? Wie solidarisch ist mein Handeln, wenn ich fahrlässig einen Schwurbler anstecke und er verstirbt? 

Dabei ist es doch gar nicht so schwer, dieses Kackvirus in Schach zu halten:

Abstand halten

Maske tragen

Hände waschen

Kontakte reduzieren oder

sich in kleinen Gruppen im Freien treffen

impfen

testen, trotz Impfung

Die Realität zeigt uns allerdings, das wir weltweit selbst für solch einfache Maßnahmen zu blöde sind. Volle Fußballstadien, Fußgängerzonen, Läden, Restaurants, Flugzeuge, Züge. Wir können alles, nur nicht stillhalten. Wir müßen in Bewegung bleiben, sonst denken wir am Ende noch nach. Wir deckeln unser (schlechtes) Gewissen mit Aktivität, leben auf dem Rücken derer, die uns pflegen, beatmen, beim sterben begleiten.

Tja, kann man so machen. Ist halt blöd.

Mit hocherhobenem Zeigefinger weisen wir auf politische Entscheidungen hin. So lange etwas nicht ausdrücklich verboten ist, wird es gemacht. Egal, wie dumm es ist. Wir pochen auf unsere Eigenverantwortung. Wir pochen auf unsere Freiheit! Natürlich nur so lange sie zu unserem Vorteil ist. 

Ich! Ich! Ich!

Vor einem Jahr schickte uns die Politik in einen weiteren Lockdown. Heute sind die Infiziertenzahlen und die Hospitalisierungsraten deutlich höher, aber so wirklich interessieren tut’s keinen. Schnell noch mal die große Party gefeiert, in den Urlaub gefahren, den Karneval eröffnet. Ist ja nicht verboten.

Das es sich von selbst verbietet merken wir gar nicht. So dumm sind wir.

Die alte Regierung fühlt sich nicht mehr zuständig. Vermutlich sind die alle heilfroh, bald nicht mehr in der Verantwortung zu stehen. Die neue Regierung beginnt mit einem Paukenschlag: sie erklärt die pandemische Notlage zum Monatsende für beendet. Was für ein Zeichen! Wir stecken so tief drin, wie noch nie und bekommen solch irreführenden Signale. Wie war das nochmal? „Besser nicht regieren, als schlecht zu regieren.“ 

Kaum gewählt, schon verkackt. Das muss man auch erst mal hinkriegen.

So wie es sich im Moment darstellt, wechseln wir von der politischen Unfähigkeit zum Status des kompletten Versagens. Man darf sich schon mal fragen, wann aus politischer Sicht der richtige Zeitpunkt für die individuellen Freiheiten wäre. Oder anders herum: ist es moralisch haltbar, auf den Gräbern der Coronaopfern unsere Freiheit zu erzwingen?

Wir leben in einer Pandemie der Egoisten. Eigentlich war das schon immer so. Nur zeigt sich seit Beginn der Coronapandemie das ganze Ausmaß dieses Egoismus. 

Darüber sollten wir schleunigst nachdenken.

Text: A. Müller