Ende Januar, spätestens Anfang Februar ist es soweit: man hat die Nase voll, vom Braungrau des schneelosen Winters. Ihr wisst schon, diese erdigen Töne ohne Glanz. Diese farblose Umgebung, die mehr vom Tod erzählt, als von der Hoffnung auf Neuanfang. Nirgendwo ist ein Zeichen des Aufbruchs zu entdecken, die Welt scheint in Abgestorbenem zu erstarren. Kahles Geäst, wie Scherenschnitte wirkend. Ob jemals wieder Leben in diese Zweige zurückkehrt?

Welk hängen ein paar übrig gebliebene Blätter an manchen Sträuchern. Auch sie haben kapituliert. Den Lebenssaft nicht schnell genug eingezogen, explodierten ihre Zellwände in den Frostnächten und hinterließen graubraune Blattleichen als mahnendes Manifest des Winters. Für ein paar lichtlose Monate sollen wir Ruhe geben, Pause machen, Kraft schöpfen.

Sobald jedoch die Tage nur ein klein wenig länger werden und die Sonne an geschützten Stellen wieder wärmt, kommt die Unruhe, der Hunger mit aller Macht. Wann ist es endlich soweit?

Der Hunger nach Aufbruch, der Durst nach Farbe ist so groß wie zu keinem anderen Zeitpunkt im Jahr. Jede Knospe wird Anlass zum Jubel, jeder kleine grüne Hauch ist Zeichen des Sieges. Es ist doch nicht alles verloren. Hoffnung keimt zartgrün auf.

Lange Monate tief im Boden verborgen, drängen sich nun Schneeglöckchen vorsichtig an die Oberfläche. Sie sind die mutigsten unter den Hoffnungsbringern. Nicht besonders farbenfroh, aber immerhin ein Lebenszeichen zwischen braunen Grasbüscheln. Ein Wunder in Grün-Weiß.

Bald schon trauen sich auch andere Frühlingsboten aus ihrem Winterversteck. Gelb blüht der Winterling und sieht dabei aus, als könnte man aus Sonnenstrahlen Konfetti machen. Krokus und Primel lugen vorsichtig zwischen den langsam grüner werdendem Gras hervor und haben Violett und Rot mit im Gepäck. Wie gut diese Farben tun! Farbtupfer im Einheitsgrau. In dieser Jahreszeit besonders gut zu sehen.

Die Zaubernuss weiß auch was zu tun ist und bietet den mutigsten unter den aufgewachten Insekten mit ihren Blüten Nahrung an. Der Einfachheit halber bildet sie ihre gelben und orangen Blüten direkt an den Zweigen. Die Blattknospen öffnen sich erst viel später. Um diese Jahreszeit wird keine Energie verschwendet.

Je länger die Tage werden, je wärmer die Sonne wird, desto mehr Leben kehrt zurück. Silbrig glänzende Weidenkätzchen werden von einem Tag auf den anderen zu pudrig gelben Wattebäuschen und übergeben ihre Pollen dem Wind. Auch die Haselnuss läßt sich nicht zweimal bitten. In kleinen gelben Wolken verteilt jedes noch so laue Lüftchen ihren Blütenstaub.

Das Leben kommt im Zeitraffer zurück. Überall sprießt es, überall blüht es. Bunt, hell; mal in zarte, mal in grelle Farben getaucht. 

Es scheint so, als wäre der Wintertod besiegt. 

Allerdings ist der Sieg noch nicht endgültig. Noch ist der Winter nicht vorbei. So leicht gibt er nicht auf. Bis weit in den April hinein kann er sich noch einmal aufbäumen, mit aller Macht zurück kommen. In nur einer Nacht kann er all das neuerwachte Leben zerstören. 

Der Frühling braucht einen langen Atem und wir, die Hungrigen, brauchen viel Geduld.

Wir dürfen uns nicht täuschen lassen, nicht glauben, der Winter zöge sich kampflos zurück. Noch müssen wir ein wenig ausharren, die braungrauen Farbtöne ertragen. 

Ende Januar, spätestens Anfang Februar, wenn der Frühlingshunger am stärksten ist, sind auch die Zeichen der Hoffnung deutlich erkennbar. 

Kleine Farbtupfer im Alltag, noch unscheinbar und versteckt.

Wärmende Strahlen, die die winterliche Kälte für kurze Zeit vertreiben.

Mehr Licht und weniger Schatten.

Die Hoffnung ist da. Wir müssen nur lernen, sie wieder zu sehen.

Text: A. Müller