Vor ein paar Wochen beschäftigten wir uns noch überwiegend mit Inzidenzen, Krankenhausbelegungen und Impfungen. Die Corona-Pandemie hatte uns seit nunmehr zwei Jahren fest in der Hand und fast jeder kennt oder kannte jemand, der infiziert, erkrankt oder sogar verstorben war. Die Angst, sich selbst anzustecken und das Virus an jemand weiterzugeben, der dann nicht glimpflich davon kommt, war allgegenwärtig. Trotz aller Schutzmaßnahmen blieb diese Angst hartnäckig im Hinterkopf verankert.
Zwei Jahre lang Angst.
Sie hat uns verändert, dünnhäutig gemacht.
Wer hätte gedacht, dass das Gefühl der Angst noch gesteigert werden kann?
In den letzten zwei Jahren hatte jeder Einzelne genug Möglichkeiten, sich selbst und andere zu schützen. Wir konnten aktiv etwas tun. Hände waschen, lüften, Kontakte reduzieren, impfen; all das gab uns trotz der Besorgnis das Gefühl, dem Virus (und der Politik) nicht in voller Gänze ausgeliefert zu sein.
Nun aber, ganz aktuell, sind unsere Möglichkeiten, sich der Angst zu stellen, eingeschränkt. Fassungslos und voller Sorge schauen wir gen Osten nach der Ukraine. Das Land und seine Bevölkerung ist zum Spielball der großen Politik geworden. Über die Gründe, warum dies so ist, vermag ich nicht zu schreiben. Dazu fehlt mir jedwedes Wissen und Überblick.
Aber ich kann darüber schreiben, was dieser politische Konflikt in mir auslöst.
Zunächst einmal frage ich mich, wie es eigentlich soweit kommen konnte? In den vielen vergangenen Jahren war ich hauptsächlich mit meinem eigenen Leben und den sich täglich stellenden Aufgaben beschäftigt. Natürlich war es mir nicht egal was da draussen in der Welt passiert, aber meine Kräfte waren eben so gebündelt, dass ich nicht alles mitbekommen, geschweige verstanden habe. Außerdem war ich wohl naiv genug, der Politik so weit zu vertrauen, dass schon nichts schief gehen würde….
Ich habe mich in meinem Vertrauen wohl getäuscht. Das macht mich unglaublich wütend. Auf mich selbst und auf die verantwortlichen Politiker. Wäre es nicht ihr Job gewesen, für ein friedliches Miteinander zu sorgen?
In meiner kleinen Welt bin ich tagein tagaus mit ähnlichen Aufgaben betraut: ich versuche, den kleinsten gemeinsamen Nenner zu finden, versuche, mich nicht provozieren zu lassen und gebe, wann immer es möglich ist, eine diplomatische Antwort auf unverschämte Fragen.
Ich krieg’ das auch meistens hin. Nur manchmal gelingt es mir nicht.
Aber ich habe noch nie jemanden gehauen, verletzt oder gar getötet. Diese Grenze darf einfach nicht übertreten werden!
Wenn ich das in meiner kleinen Welt schaffe, ohne diplomatische oder politische Ausbildung obendrein, dann dürfte es von der Weltpolitik doch nicht zu viel verlangt sein, es ebenso tagein tagaus zu versuchen.
Wie gesagt, mir fehlt der Überblick und das Wissen; vielleicht haben es die Staaten ja versucht. Aber wer weiß schon so genau, ob sie es im Sinne der Menschen wirklich und wahrhaftig versucht haben. Die Anstrengungen, diesen Krieg zu vermeiden, sind tatsächlich nicht erfolgreich gewesen.
Dieser Krieg macht mir große Angst. Dieser Krieg ist anders als der Kampf gegen ein Virus. Hier kann ich nichts aktiv tun. Ich bin gezwungen abzuwarten, wie klug oder wie dumm sich die Weltpolitik anstellt.
Noch sind „nur“ die Menschen in der Ukraine von Bomben und Raketen betroffen. Noch sterben „nur“ Soldaten.
Die Angst, der bewaffnete Konflikt könnte sich schnell bis ins westliche Europa ausbreiten, ist groß. Die Angst, Aggressoren und Verteidiger könnten nukleare Waffen benutzen, ist ebenso groß. Diese Angst ist real, greifbar und lähmend.
Wer gedacht hat Corona sei ein schrecklicher Einschnitt in unser aller Leben, wird eines Besseren belehrt. Ich habe die Befürchtung, wenn in den nächsten Tagen nicht mit verdammt viel Fingerspitzengefühl und Vorsicht gesprochen und gehandelt wird, wird uns Sehen und Hören vergehen.
Das Tragen einer Maske wird dann unser kleinstes Problem, und die bis dato unverzichtbare Urlaubsreise wird Makulatur sein. Und davon, was so ein Krieg mit den Kindern macht, wollen wir lieber nicht reden…
Was diese Tage prägt, ist die Angst und die Frage: wer sind die Guten, wer sind die Bösen? Sind sie denn überhaupt eindeutig zu benennen?
In diesem, wie in allen anderen Kriegen auf dieser Welt, sterben Menschen. Menschen, die sich, wie ich, viel lieber um ihre eigene kleine Welt kümmern wollen. Menschen, die genau wie ich, große Angst vor Kriegen haben.
Wir alle wollen in Frieden leben.
Damit dies gelingen kann, könnten wir vielleicht für’s Erste aufhören, irgendwelchen Schreihälsen und Phrasendreschern den Mund zu reden. Wir könnten dankbarer sein, für das, was wir haben. Wir könnten aufhören, nach immer mehr von Allem zu gieren. Und wir könnten beginnen, zu teilen.
Den Frieden zu bewahren wird uns viel Kraft kosten. Aber es wird viele tausend kostbare Leben und die Zukunft unserer Kinder retten.
Der Gegenspieler der Angst ist der Mut zum Frieden. Das zeigen die vielen Menschen, die sich in Russland gegen den Krieg positionieren. Nehmen wir uns an ihnen ein Beispiel und wünschen wir ihnen und uns einen friedlichen Ausgang.
Text: A. Müller