„Holy, du musst jetzt langsam mal los. Bist schon spät dran. Die warten doch auf dich.“ Der Vater macht eine auffordernde Handbewegung. „Los jetzt. Beeil dich!“ 

„Och nöö! Kann das nicht JC machen?“ Holy dreht sich unwillig vom Vater weg und hofft, wenigstens dieses Mal die ungeliebte Aufgabe delegieren zu können. „Kommt überhaupt nicht in Frage!“ JC beißt in sein Frühstücksbrötchen, wischt sich die Krümel aus dem Bart und lehnt sich demonstrativ in seinem Stuhl zurück. „Mir tun immer noch die Hände weh.“

Der Vater schüttelt den Kopf. „Jungs, wie oft muss ich euch das eigentlich noch sagen? Wir sind ein Team! Jeder hat seine Aufgaben. Also Holy: stell dich nicht so an und mach endlich, dass du los kommst!“

„Aber es ist so ungerecht,“ jammert Holy. Er hätte nicht übel Lust, mit dem Fuß aufzustampfen. Leider war er aus Gründen dazu nicht in der Lage. „Es ist so dermaßen ungerecht! Die Leute nehmen mich überhaupt nicht wahr. Die tun so, als gäbe es mich gar nicht. Immer muss ich die schweren Sachen machen und JC kriegt die leichten Aufgaben. Das ist so ungerecht!“

Mit zwei Finger trommelt JC auf dem Tisch, seine Ader am Hals tritt sichtbar hervor und ehe er sich’s versieht verliert er den ihm nachgesagten Sanftmut. „Leichte Aufgabe?“ Er spukt die Worte förmlich in Holy Richtung. Ein paar Brötchenkrümel fliegen als Begleitung und zum Nachdruck seiner Worte gleich mit. „Leichte Aufgabe? Sag mal, bist du von allen guten Geistern verlassen?“ Theatralisch zieht er die Pantoffeln von den Füßen und zeigt Holy die noch frischen Narben. „Das hat echt weh getan. Man!“ Holy zieht die Schultern hoch. „Wenigstens hast du einen Körper. Und Freunde.“ 

Während JC sich in all den Jahren an der Seite des Vaters eine deutlich sichtbare Plautze erarbeitet hat, macht Holy die Körperlosigkeit zunehmend depressiv. Ausserdem kränkt es ihn, stets als Taube dargestellt zu werden. Jeder weiß doch, wie unbeliebt diese Vögel in den Städten sind. Man macht ihnen das Leben schwer, wo immer es nur geht und wenn ihre Zahl zu groß wird, vergiftet man sie eben. Selbst wenn er das Argument mit der Friedenssymbolik in seine Gedankengänge mit aufnimmt, so bleibt Holy dennoch äußerst unzufrieden. Der so sprichwörtliche Weltfrieden ist und bleibt ebenso körperlos wie Holy. 

Jedes Jahr versucht er sein Glück. Jedes Jahr gibt er sich wirklich Mühe. Und jedes Jahr kommt er nach getaner Arbeit unzufrieden und müde zurück zum Vater. „Ich bin über die Menschen gekommen, wie du es verlangt hast. Leider habe ich nicht viele angetroffen. Die meisten waren im Urlaub oder auf Grillfesten. Nur ein paar standen noch im Stau. Die konnte ich mir schnappen.“ 

Ob’s wohl reichen wird? 

Der Vater schüttelt den Kopf. Nein, die Ausbeute ist zu klein. Das Problem ist seit Jahren bekannt.  Die Menschheit hat sich verselbständigt, aus des Vaters Sicht ist sie ziemlich außer Kontrolle geraten. Kaum jemand scheint noch gutgläubig zu sein. 

Jeder kann plötzlich glauben was er will! Das Fanal, dass JC damals in Zusammenarbeit mit dem Vater setzte, scheint zu verblassen. In der Masse der zu glaubenden Möglichkeiten droht das Trio Vater, JC und Holy unterzugehen. 

„Vielleicht liegt’s am Angebot? Was meint ihr?“ Holy richtet die Frage mit einiger Hoffnung an seine beiden Mitstreiter. „Wir könnten doch mal wieder was Spektakuläres ins Portfolio aufnehmen.“

„Hab’ ich doch schon längst,“ brummt der Vater, „oder sind dir die Erderwärmung, die Dürren und  andere Naturkatastrophen noch nicht aufgefallen?“ 

Holy und JC wechseln einen schnellen Blick. „Jetzt, wo du’s ansprichst….“, setzt JC zögerlich an, „findest du das alles nicht ein wenig altmodisch?“ „Ja, genau!“ pflichtet Holy seinem Bruder im Geiste bei. „Das ist so, na wie soll ich sagen? So alttestamentarisch! Wir müssen, um uns besser in Szene zu setzen, frischer denken, Neues wagen, digital werden!“ 

„Stimmt,“ nickt JC, „wir müssen die Menschen da abholen, wo sie stehen.“ Hätte Holy eine Augenbraue, dann würde er sie in diesem Moment nach oben ziehen. Aber sowas von! „Du laberst auch schon diesen gequirlten Mist wie die Menschen. Wenn du das wirklich ernst meintest, würdest du ganz tief hinab steigen müssen in das menschliche Denken. Und du wärst entsetzt, wo viele der „Erleuchteten“ stehen.“ Kaum sagt er diesen Satz, überkommt ihn ein Geistesblitz. „Genau: du steigst wieder hinab. Du hast die Menschheit schon einmal gerettet.“ Sein Blick gleitet über JC. „Aber vorher gehst du ins Fitnessstudio.“

„Och nöö!“ JC wirkt nicht sonderlich begeistert. „Vater, sag doch auch mal was. Muss ich wirklich nochmal?“

Der Vater wiegt bedächtig das Haupt. Er denkt lange nach, bevor er antwortet. „Holy hat schon recht. So kann es nicht weitergehen. Und ja, JC, du hast doch noch ziemlich viele Fans da unten. Es wäre Unsinn, deine Bekanntheit nicht zu nutzen. Geh’ schön trainieren, damit du auch optisch wieder einen guten Eindruck machst. Dann sehen wir weiter.“

„Immer muss ich machen, was der Vater sagt.“ JC hat es schon lange satt. „Aber vielleicht ist es ja bald Zeit für einen Generationenwechsel.“

Das er dafür ziemlich ausgeschlafen und fit sein muss, ist ihm schon klar. Vielleicht braucht er auch ein wenig Beistand von Holy, man wird sehen.

Für’s erste fügt er sich in die Vorgaben des Vaters und setzt er sich ins Rudergerät. Die Plautze muss weg! So kann er nicht unter die Leute. 

Gemeinsam mit Holy macht er dann einen Entwurf, wie man die Menschen wieder auf den Pfad der Tugend zurück bringen könnte. Holy würde mal wieder gerne die Augenbraue hochziehen, aber er belässt es bei einem Schnauben. „JC, fang am besten bei deiner Sprache an! Pfad der Tugend sagt heute doch kein Mensch mehr! Das heißt jetzt back on track. Echt, man merkt schon, dass du schon lange nicht mehr da unten warst.“

Nun zahlt sich aus, dass Holy jedes Jahr auf’s Neue über die Menschen gekommen ist. Er ist, im Gegensatz zum Vater und JC nämlich wirklich up to date. Die beiden Himmelshocker haben in den vergangenen Jahren doch recht viel verpasst.

So ein heiliger Geist kann in gewissen Kreisen also ziemlich segensreich sein.

Holy grinst nun froh in sich hinein und macht sich auf, auch an diesem Wochenende seinen jährlichen Besuch auf Erden abzustatten. Diesmal rein aus Recherchegründen.

Aber gebt’s ruhig zu: ihr hättet ihn ja sowieso nicht wirklich wahrgenommen. Oder?

Text: A. Müller