Der 7. November ist für mich ein sehr besonderer Tag. An einem 7. November vor nunmehr 31 Jahren wurde ich Mutter. Ich erinnere mich noch, wie ich früh am Morgen im Kreissaal lag und die Sonne ihre ersten, schon herbstlich flach gewordenen Strahlen durchs Fenster schickte. Ich war nervös und wußte nicht so recht, was nun auf mich zukommt. Eigentlich hätte ich vor der Geburt noch gerne einen Vorbereitungskurs besucht, aber das Kind hatte andere Pläne. Es wollte hinaus in die Welt und stellte mich vor vollendete Tatsachen.

Ein kleiner Wink, dass von nun an jemand anderes sagte, wo’s lang geht.

Neun Monate lang haben wir uns auf dieses Kind gefreut und uns ausgemalt, wie das Leben als Familie sein könnte. Wir haben uns gefragt, wem das Kind wohl ähnlich sein wird. Ich hoffte von ganzem Herzen, es würde nur meine guten Charakterzüge erben. Meine Wünsche und Hoffnungen wurden im Verlauf der Jahre nicht gänzlich erfüllt, ein paar Macken und Spleens habe ich wohl doch weitergegeben.

Hätte ich an diesem 7. November vor 31 Jahren gewußt, was es wirklich bedeutet Mutter zu sein, so hätte ich vermutlich gekniffen. Zum Glück lag die ganze Spannweite des Lebens mit einem Kind noch im Nebel der Zukunft verborgen. Ich hatte ja keine Ahnung, was es bedeutet wochen-, ja monatelang nur häppchenweise zu schlafen. Ich hatte allerdings auch keine Ahnung, wie fassbar das Glück mit einem Mal werden kann. Mit der Zeit lernte ich durch dieses Kind, wie wichtig die kleinen Dinge im Alltag sind. Sie machen das Leben erst groß. Das erste Lächeln, die ersten Zähne, die ersten Schritte, die ersten Worte. Alle jenen ersten Male, die sich ins Gedächtnis eingraben und mit Hilfe derer man das Glück an weniger hellen Tagen spürbar macht. 

Ich hatte bis zu diesem 7. November keinen blassen Schimmer, wie sich rotglühender Zorn anfühlt, wie tief sich Ängste ins Herz graben können, wie sehr bedingungslose Liebe schmerzen kann. Sich diesen Gefühlen zu stellen, mit ihnen angemessen umzugehen, war Teil der Aufgabe als Mutter. Das hatte ich vorher nicht gewußt. 

Das Kind öffnete mir die Augen, zeigte mir alle Facetten des Daseins als Mutter. Das Kind war nicht nur eine Mixtur aus väterlichen und mütterlichen Eigenschaften, sondern entwickelte seinen ganz eigenen Charakter. Es war ein aufgewecktes, interessiertes Kind und zeigte dennoch bisweilen furchtsame Züge. Es war ein wissbegieriges, intelligentes Kind und lehnte sich dabei gegen vorgeschriebene Lernwege auf. Es war ein sprachgewandtes und mit Wortwitz gesegnetes Kind und pfiff dabei auf hinlänglich angewandte Rechtschreibregeln. Es liebte Kaiserschmarren mit Apfelmus und den Käsekuchen seiner Oma. 

In den vergangenen 31 Jahren verlor ich für einige Zeit meine Autonomie, musste lernen, Entscheidungen nicht nur für mich allein zu treffen. Auch das hatte ich im Vorfeld nicht richtig begriffen, aber mein Kind war mir ein guter Lehrer. Je älter es wurde, desto mehr Freiheiten forderte es für sich selbst ein und schenkte mir damit wieder mehr Zeit für mich. So richtig leicht gefallen ist mir die Loslösung allerdings nicht. Zu groß war die Sorge, ob es das Kind denn auch alleine schaffe. 

Das Kind schaffte es alleine! Es kann (und konnte) schon immer viel mehr, als ich zu wissen glaubte. Es überrascht mich stets auf’s Neue mit Ideen und Plänen. Es hat alleine viel mehr Mut als seine Eltern zusammen. 

In den letzten 31 Jahren habe ich vieles gelernt. Ich weiß nun, wie sich bedingungslose Liebe anfühlt. Gegeben, wie genommen.

Ich bin meinem Kind für (fast) alles dankbar. Wir haben uns gegenseitig geformt. Im Guten, wie im weniger Guten. 

Was die Zukunft bringt, lässt sich jetzt noch nicht sagen. Aber wenn sie nur halb so gut wird, wie die vergangenen 31 Jahre, dann bin ich schon sehr zufrieden.

Text: A. Müller