„Sag’ mal, schreibst du eigentlich noch?“ fragt sie mich. Der Klang ihrer Stimme läßt mich reflexartig schuldbewußt zu Boden blicken. „Dein letzter Blogeintrag ist vom 19. Dezember!“ schiebt sie noch nach. Wieder dieses Vorwurfsvolle, Fordernde. Ich fühle mich schuldig und weiß gleichzeitig intuitiv, wie wenig angebracht dieses Gefühl ist. Was will sie denn von mir? Kostenlose Unterhaltung? Betreutes Denken? 

Während ich überlege, welche Antwort wohl richtig sein könnte, streiten sich Engel und Teufel auf meinen Schultern. Die beiden begleiten mich schon viele Jahre und oftmals kann ich die Fetzen fliegen sehen. So auch heute: Zwischen „Du hast dir die Pause verdient!“ und „Wer rastet, der rostet, du faules Stück!“ sind alle Argumente vertreten. Jetzt muß ich nur noch eines herausfischen, das die Ausgangsfrage kurz und knapp beantwortet.

„Ja.“ sage ich und sehe im gleichen Moment, wie wenig zufriedenstellend diese Antwort ist. „Wie, ja?“, fragt sie, „was meinst du damit?“ Ich ziehe die Schultern hoch, „ja, ich schreibe noch. Nur jetzt halt nicht.“ Ob das genügt? 

„Psst,“ flüstert der Engel auf der einen Schulter, „psst, du musst dich nicht rechtfertigen. Vergiss das bloß nicht!“ Ich nicke dem Engel zu. Dankbar nehme ich den Ratschlag an, strecke das Kreuz versuchsweise selbstbewußt durch. „Aha… nur jetzt halt nicht.“ Sie klingt nicht so, als ob ihr meine Antwort genügen würde. „Dann bin ich ja mal gespannt, wie lange „jetzt halt nicht“ anhält.“ Sie dreht sich um und hebt zum Abschied die Hand zum Gruß. Es liegt wieder viel Forderndes darin, so als wäre ich ein trödelndes Kind und müßte lediglich folgsam sein und endlich mal zu Potte zu kommen. Weil: Schreiben ist ja im Grunde überhaupt nicht schwierig. Man muss nur die verschiedenen Buchstaben in die richtige Reihenfolge bringen und schon hat man einen Text.

„Psst,“ flüstert mir der gute Engel erneut zu, „psst, es ist vollkommen unwichtig, ob ihr die Antwort genügt. Entscheidend ist, dass du dich wohl fühlst.“ Heute hängt er sich echt rein, der gute Engel. Vielleicht hat er aber auch nur ein schlechtes Gewissen, weil er die letzten Monate auf jemandes anderen Schulter gesessen und mich mit dem Teufel allein gelassen hat. Der holt auch gleich zum nächsten Sidekick aus, schließlich war er einige Zeit der Chef im Ring. „Was heißt hier wohlfühlen? Jede Woche ein Blogeintrag! Das ist deine eigene Vorgabe. Wenn du jetzt schon einknickst und Pause brauchst, brauchst du auch gar nicht daran zu denken, jemals aus diesem erbärmlich schlichten Stadium des Schreibens heraus zu kommen! Jammerlappen!“ 

Ich schrumpfe wieder zu Normalgröße. Er hat ja recht, der Teufel. Seit zwei Wochen habe ich keinen einzigen Buchstaben geschrieben. Nicht mal die wenigen losen Gedanken- und Traumfetzen notiert. Ich habe zwei Wochen lang einfach nichts gemacht! Beschämt blicke ich wieder zu Boden und wage es kaum meinen Blick wieder zu heben. „Wehret den Anfängen!“ donnert der Teufel. Seine Stimme läßt keinen Widerspruch zu. „Wehret den Anfängen!“

Sogar der Engel ist angesichts der Wucht in Teufels Stimme beeindruckt. „Willst du es nicht wenigstens mal versuchen?“ zirpt er mir ins Ohr. „Nur ein paar Sätze. Zu Übungszwecken. Wer weiß, vielleicht kommt ja am Ende ein ganz ansehnlicher Text dabei heraus.“ 

Zaghaft öffne ich das Schreibprogramm, starre auf die weiße Bildschirmoberfläche. Atme ein. Atme aus. Denke nach. Der Bildschirm bleibt weiß. 

Der Engel auf meiner Schulter beginnt nach kurzer Zeit ungeduldig zu trippeln. „Uuuund? Spürst du schon was?“ „Nein, verflixt! Und bei dem Getrampel auf meiner Schulter kann das auch unmöglich was werden!“, möchte ich ihm zurufen, bleibe jedoch still. Er meint es ja nur gut mit mir. Die größere Sorge indes bereitet mir der Teufel auf der anderen Schulter. Er sitzt nur da und grinst. Ein Kraft und Ideen aufsaugendes Grinsen, ein siegesgewisses „Du schaffst es ja doch nicht!“. Alles an seiner Körperhaltung zeigt mir seine Überlegenheit. DU SCHAFFST ES NICHT! 

Jetzt ist es genug. Jetzt reicht es mir! So viel Impertinenz am hellen Sonntagmorgen ist unerträglich. Ich drehe meinen Kopf in Teufels Richtung, öffne den Mund. „ Halt den Schnabel, du alter Miesepeter!“ zische ich ihn an. „Vielleicht schaffe ich es heute wirklich nicht, das mag durchaus sein. Vielleicht schaffe ich es auch morgen und übermorgen nicht. Wenn die Zeit jedoch reif ist, werde ich es wieder schaffen. So, wie ich es schon oft geschafft habe. Also verschwinde endlich von meiner Schulter und lass mich einfach in Ruhe.“

Der Teufel glotzt mich an, meine Worte scheinen ihn zu schwächen. „Hau ab!“, setze ich noch einmal nach und fege ihn mit einer einzigen Bewegung von meiner Schulter. Der Engel auf der anderen Seite beginnt zu kichern. „Dem haben wir’s aber gegeben.“ Überschwänglich trippelt er auf und ab. „Wir?“, frage ich. „Wir?“ Ein verlegenes Räuspern, das Rascheln von Engelsflügeln. „Ich muss dann auch mal weiter. Wir seh’n uns dann. Tschö-hö.“

Es ist schön, wieder alleine zu sein. Niemand, der dazwischen redet, keiner der stört. Meine Finger bewegen sich nun wie von selbst auf der Tastatur. Wie der Titel des Textes lauten wird, steht noch nicht fest, aber den ersten Satz habe ich schon geschrieben: „Sag mal, schreibst du eigentlich noch?“

Text: A. Müller