Folgender Text wird Elternherzen höher schlagen lassen. Doch ja, da bin ich mir sicher. In Zukunft müssen Mütter und Väter nicht mehr so viel Zeit aufwenden, um auf das Wohlergehen ihrer Kinder zu achten. Vorbei die Sorge um heile Gliedmaßen, lebenswichtige Organe und dergleichen mehr. Es ist alles da und auf Lager! In einem noch unbekannten Discounter werden nämlich bald Kinderteile zum Verkauf angeboten. Entspannung pur für Erzieher und wagemutige Kinder gleichermaßen! Wenn was kaputt geht, kann es ohne großen Aufwand ersetzt werden. Also entspannt euch, lehnt euch zurück und trinkt einen Mojito.
Wir kennen das ja alle: kurz nach der Niederkunft besingen Eltern, Omas und Opas, Tanten und Onkel das vermeintliche Wunder der Geburt. Ein Jauchzen und Frohlocken über das perfekte Baby ist auf allen Kanälen zu vernehmen.
Mit der Zeit jedoch, wenn sich der Glückstaumel legt und der rosarote Nebel sich verzogen hat, wird die Mängelliste bezüglich des neuen Familienmitglieds immer länger. Die Angaben in der Betriebsanleitung zu Schlaf- und Brüllzeiten weichen zum Beispiel deutlich von der Realität ab, dasselbe gilt für Nahrungsaufnahme und -verträglichkeit. Selten wird geliefert was bestellt wurde. Man hat den Eindruck, dass der Hersteller seine Produkte höchst fahrlässig durch die Endkontrolle schleust. „Auf Herz und Nieren geprüft“? Vergesst solche Behauptungen. Die Realität sieht komplett anders aus. Schaut euch doch mal um; Millionen müder Elternaugen sprechen für sich. Das Schlimme ist ja, dass sich bei den meisten Kindern so eine Art Eigenleben entwickelt und daher die Freizeit der Eltern unglaublich einschränkt. Ständig die Sorge um Unversehrtheit, das Überlegen, was aus den Gören mal werden soll…
Ihr kennt das.
Ein findiger Geschäftsmann hat sich nun der vielfältigen Probleme junger und älterer Eltern angenommen. Ganz im Sinne des Upcycling und des Klimaschutz.
Möglicherweise ist der Geschäftsmann aber auch nur ein eifriger Leser Mary Shelleys. Diese Spekulation wird noch gründlicher zu recherchieren sein und daher in diesem Text nur eine Randnotiz bleiben.
Zurück zum Thema:
Die Grundidee des Geschäftsmanns, seine wahre Identität soll aus Sicherheitsgründen zunächst unbekannt bleiben, fußt auf eigenen und leidvollen Erfahrungen aus Kindheit und späterer Elternschaft. Manch eine der Erinnerungen geht ihm bis heute noch an die Nieren und so entstand über Jahrzehnte das Modell des Austausches defekter (Kinder)Teile.
A propos Fuß:
Keinem Kind sollte in Zukunft noch zum Vorwurf gemacht werden, es sei mit dem „falschen“ Fuß aufgestanden. In Bälde würde jedes Kind mit ausschließlich „richtigen“ Füßen ausgestattet sein. Ein Trend zum Dritt- oder gar Viertfuß bei vorausschauenden und ausreichend solventen Eltern wäre bestimmt nicht ausgeschlossen.
Der Geschäftsmann schließt die Augen und träumt von jungen Menschen, die mit beiden Beinen fest auf dem Boden stehen. Hach!
Öffnet er die Augen wieder und sieht zu seinem Leidwesen vielerorts Menschen (nicht nur Kinder!), die zwei linke Hände zu haben scheinen. Was sie auch anfassen, geht zu Bruch. Nichts scheint ihnen zu gelingen. Ein Jammer! Schnell zückt er sein Notizbuch und erweitert die Liste der zu fertigenden Einzelteile. Hände! Wir brauchen jede Menge Hände!
Nichts gegen linke Hände, der Geschäftsmann ist selbst überzeugter Linkshänder, aber hier geht es um die Ausgewogenheit und die ästhetische Symmetrie. Also würde er die Produktion rechter Hände in allen Größen und Hautfarben ankurbeln müssen. Jeder erfolgreiche Geschäftsmann oder -frau brauchte schließlich eine verlässliche rechte Hand. Ach, was sag ich: jeder Mensch braucht so etwas.
Die rechte Hand des Geschäftsmannes mahnt jedoch zur Vorsicht: eine Überproduktion von Rechten sei tunlichst zu vermeiden. Gerade bei Heranwachsenden sei eine gewisse Gefahr zu verzeichnen, sie könnten durch zu starke Betonung der rechten Seite entsprechende Sachverhalte in den falschen Hals bekommen und im schlimmsten Fall auf einem Auge blind werden. Er solle doch im Sinne des Gleichgewichtes auch genügend linke Hände produzieren. Dies wäre nicht zuletzt der Hand – Auge – Kordination äußerst zuträglich.
Und wenn er schon dabei ist: klare, bis zum hinteren Ende des Denkhorizonts sehende Augen müssten auch produziert werden. Gerne in großer Stückzahl!
Schließlich würden gerade Jugendliche gerne einmal ein Auge auf jemand anderes werfen und da sei es schon von Vorteil, wenn man welche in Reserve hätte.
Der Geschäftsmann nickt und notiert eifrig die Impulse seiner rechten Hand. Er geht sogar noch einen Schritt weiter und will sein Portfolio im händischen Bereich erweitern. Als besonderes Schmankerl würde er grüne Daumen und magische Hände anbieten, ja, er kann sich sogar eine Kooperation mit Gärtnern, Ärzten oder Musikern vorstellen. Beim Anblick des leergefegten Stellenmarktes könnten so auch vollkommen talentfreie Bewerber mittels einer Transplantation der gewünschten Eigenschaften zu Lohn und Brot kommen.
Er ist schon genial, unser Geschäftsmann.
Generationen zukünftiger Eltern bräuchten sich mit Hilfe der nun zu kaufenden Einzelteile nicht mehr mit der mühevollen erzieherischen Arbeit zu befassen. Väter und Mütter müßten sich nicht in endlosen Erklärungen ergießen, warum man nicht bei Rot über die Straße läuft oder warum man keine Nadeln in Steckdosen steckt. Es gäbe keine Diskussion darüber, warum ein Fahrradhelm mehr wichtig als uncool ist.
Brüllt sich ein Säugling die Lunge aus dem Leib, ist das von nun an kein Problem mehr. Dank des Geschäftsmannes gibt es nun Kindereinzelteile in allen Ausführungen.
Die Zukunft ist gerettet!
Dem aufmerksamen (und wer bis hierher gelesen hat: dem leidensfähigen) Leser drängt sich nun die Frage auf: wie kommt der Geschäftsmann an die Kinderteile, sind die bio oder irgendwie vorbelastet? Man hört ja immer wieder von Kindern, die in dunklen Kellern zum Zwecke der Fütterung der Eliten gehalten werden.
So ganz genau läßt sich der Geschäftsmann nicht in die Karten schauen. Schließlich möchte er potentiellen Nachahmern das anfertigen billiger Plagiate so schwer wie möglich machen. Er versichert jedoch, seine Kinderteile stammten alle ohne Ausnahme von glücklichen und im Freiland gehaltenen Kindern und bei Einzelanfertigungen würde er keine Kosten und Mühen scheuen und die neue Technik des 3D Druckes nutzen.
Da können wir also alle ganz beruhigt sein.
Wir können uns ganz entspannt zurücklehnen, einen Mojito trinken und darauf hoffen, dass die Summe der einzelnen Teile auch ohne unser Zutun irgendwie ein Ganzes ergibt.
Text: A. Müller
Foto: Internetfund, Fotograf bislang unbekannt