Teil 1

Keine Sorge, dieser Text wird kein „Mimimi, alles so blöd, mimimi!“-Text werden, dennoch nutze ich sowohl die auferlegte freie Zeit, als auch mein Stadium der eingeschränkten Mobilität, mal wieder ein paar Buchstaben in die Tastatur zu hämmern.

Ihr habt es schließlich so gewollt. Oder nicht?

Für diejenigen, die meine Texte unregelmäßig lesen (wieso eigentlich?) eine kurze Info vorweg. Ihr müsst ja schließlich wissen, um was es geht: Eines meiner beiden Knie wurde seiner Arbeit leid und versagte mir den Dienst. Grundsätzlich gestehe ich meinen Körperteilen durchaus ein gewisses Eigenleben zu, ja ich unterschreibe sogar ab und zu einen Urlaubsantrag, wenn das Hirn  zum Beispiel mal eine Auszeit braucht. Wenn jedoch tragende Säulen, und als diese darf so ein Bein mitsamt seiner Gelenke durchaus bezeichnet werden, wenn also tragende Säulen zu bröckeln beginnen, dann ist Not an der Frau, dann muss gehandelt werden. Der Zeitrahmen in dem ein Handeln sinnvoll erscheint, ist in meinem Fall ein möglicherweise größerer als bei jemand anderem. Wenn’s irgendwo zwickt, ignoriere ich das einfach. Es ist von allein gekommen, also geht’s auch von allein wieder; so war bislang meine Devise.

Ihr merkt schon: ich arbeite aktiv an der Legende zu meinem künftigen Heldenstatus der Unverwundbarkeit. Vielleicht bin ich aber auch bloss ein bissle blöd. Sucht euch das passende aus; in meinen Texten soll Raum für freies und eigenständiges Denken sein.

Aber ich schweife ab. Möglicherweise liegt das an den feinen Schmerztabletten, die mir der Arzt verordnet hat. Kritiker könnten natürlich auch die immer wieder kehrende Strukturlosigkeit in meinen Texten anmerken. Und schon wieder ist euch Raum für freies Denken gegeben!

Also, weiter im Text: eine meiner ersten Handlungen, als das Knie längerfristig seinen Dienst versagte, war, einen Orthopäden aufzusuchen. Nach einigen Untersuchungen und konservativen Therapien stand fest: das Gelenk muss operiert werden. Die postoperative Erholungszeit wurde mit ungefähr zwölf Wochen veranschlagt. Neun davon muss ich an Krücken gehen.

Na super!

Mein Mann sagt ja immer, es würde „Gehhilfe“ heißen. „Krücke“ hätte eine negative Konnotation. Mir ist der Begriff „Krücke“ dennoch lieber, denn ich bin schließlich meiner Bewegungsfähigkeit einschneidend beraubt, mehr noch; ich empfinde es als höchst negativ, dass die Leute in meinem Umfeld im Moment so viel Rücksicht nehmen müssen und ich Hilfe für die alltäglichen Kleinigkeiten in Anspruch nehmen muss. 

Ich bin sozusagen die personifizierte Krücke. Wenn auch nur temporär, aber immerhin. Von den veranschlagten neun Wochen sind nun ziemlich genau vier vergangen. Es fühlt sich jedoch viel länger an. Vier Wochen mehr oder weniger sitzend auf der Couch zu verbringen, ist eine verlockende Aussicht wenn man sich im beruflichen Alltag nach Ruhe sehnt. Wenn man sich dann ganz real auf dem Sitzmöbel den Hintern breit sitzt, merkt man schnell, dass das doch nicht so toll ist. Mir jedenfalls tut der Hintern mehr weh als das operierte Knie.

Vor der Operation führte ich ein ganz normales autonomes Leben. Ich war es gewohnt, alle anfallenden Arbeiten selbst zu erledigen, hatte einen uneingeschränkten Bewegungsradius und war in der Lage selbstständig auf’s Klo zu gehen. Alles war normal und bis zur Operation keinen weiteren Gedanken wert.

Ein Umdenken und der damit verbundene Wechsel der Perspektive bahnte sich jedoch schon in der Klinik an. Ich durfte drei Tage lang mein Bett kaum verlassen. Wenn ich zur Toilette wollte, musste mich eine Schwester begleiten. Das kranke Bein, fest in eine starre Manschette gewickelt, durfte unter keinen Umständen belastet werden. 

Einerseits war es mir entsetzlich unangenehm, ständig nach dem Pflegepersonal zu klingeln. Die haben nämlich ziemlich viele Patienten zu versorgen. So viele, dass sie ihr Pensum nur im Laufschritt schaffen. Die Vorgabe der Schwestern war daher glasklar: bitte nur klingeln, wenn es wirklich dringend ist. 

Ich kann nur sagen: wenn man bei Sommertemperaturen viel trinkt, dann ist es halt oft mal ganz dringend. 

Also klingelte ich und war unsäglich dankbar, ja geradezu erleichtert, wenn mich jemand zur Toilette begleitete.

Wie muss es also jemandem gehen, der/die nicht nur temporär auf derartige Hilfestellung angewiesen ist? Gewöhnt man sich daran? Wird die Dankbarkeit dem Helfenden gegenüber irgendwann zur Normalität? 

Ja, überhaupt: wie sehr verändert die Immobilität und die Notwendigkeit von helfenden Händen das eigene Ich?

Nach nunmehr vier Wochen an meinen Krücken, habe ich schon ein wenig Einblick in diese Veränderungen gewonnen. Mit meinen Krücken verbindet mich eine Art Hassliebe. Einerseits sind sie mir ständig im Weg und wenn ich nicht höllisch aufpasse, stolpere ich über die Dinger. „Gehhilfe“! Pah, das ich nicht lache! „Stolperstecken“ wäre ein treffenderer Ausdruck. Zum Glück springe ich nicht über jedes Stöckchen, das mir hingehalten wird. Ich versuche standhaft zu bleiben und über den kleiner gewordenen Horizont hinaus zu blicken. Geübte Leser erkennen an dieser Stelle das Wortspiel. Den anderen bleibt Raum zum selber denken.

Andererseits, wenn ich mal nicht über die Krücken stolpere, bin ich sehr froh, mich an ihnen festzuhalten, mich auf sie zu stützen. Durch sie wird mir im Moment wenigstens ein wenig Fortbewegung und Eigenständigkeit zuteil. Und wenn es nur der Gang auf die Terrasse ist, um eine Zigarette zu rauchen. So viel Autonomie muss sein. 

Die Fortbewegung findet also durchaus statt. Eben langsam, genauer gesagt, quälend langsam.

Krücken nach vorne – Schritt- Pause

Krücken nach vorne – Schritt – Pause

So kann eine Strecke von ein paar wenigen Metern durchaus etwas langatmig werden.

Ihr könnt froh sein, dass ich wesentlich schneller schreibe als ich an meinen Krücken gehe. Sonst wäre dieser Text eine Tortur.

Vor der Operation wurden mir viele gute Wünsche zuteil. „Mal einen Gang runter schalten.“, „die Dinge etwas langsamer angehen zu lassen.“, „gönne dir Ruhe und Entspannung.“ „lass dich mal umsorgen und bedienen.“ All diese gut gemeinten Wünsche habe ich dankbar angenommen. Ich habe mich ehrlich gefreut, wie viele Menschen mir wohl gesonnen sind.

Wie schwer es mir jedoch fallen würde, mich umsorgen zu lassen, mich zu entspannen, mal einen Gang runterzuschalten, hätte ich nicht gedacht. Überhaupt: „entspann dich mal“ ist im Moment ein Satz, der durchaus Sprengkraft hat. Der Kopf hat z.B. schon längst die Strecke zum Auto oder sonst wohin erledigt, während der Körper noch mit den motorischen Feinheiten der neuen Fortbewegung hadert. Kommt also in diesem Moment der wohlmeinende und zur Befriedung der Situation gedachte Satz, ich möge mich doch mal entspannen, so spüre ich ein deutliches Zucken in meinen von Krücken bewehrten Händen. 

Auch ein Vorteil. Durch die Krücken habe ich größeren Abstand zu meinen Zeitgenossen bei gleichzeitig erhöhter Reichweite. Die Standfestigkeit muss natürlich noch erprobt werden, aber ich hab’ ja noch ungefähr fünf Wochen Zeit. 

Also alles ganz entspannt.

Aber im Ernst: Hilfe anzunehmen ist gar nicht so einfach. Oftmals ist man ja in der eigenen Art, etwas zu erledigen, gefangen. Wenn nun der Helfende die Aufgabe anders angeht, und das tut derjenige in 99 von 100 Fällen, dann muss man ihn/sie einfach mal machen lassen ohne selbst zu maulen und zu meckern. Man muss ein wenig von seiner Eigenständigkeit abgeben und darauf vertrauen, dass die Dinge sich schon irgendwie ineinander fügen.

Schließlich wäre es äußerst unfreundlich den fleißigen Helfern immer mal wieder eins mit der Krücke überzuziehen. Atmen, vertrauen und im besten Fall selbst was lernen ist die eindeutig bessere Option, mit der Situation zurecht zu kommen.

Nach nunmehr vier Wochen an meinen Stolperstecken, habe ich durchaus gelernt Hilfe anzunehmen. Freilich gefällt mir die Situation insgesamt nicht, aber ich finde dennoch an manchen Dingen durchaus Gefallen. 

Zum Beispiel werde ich jeden Tag bekocht. All jene, die wie ich an einer ausgeprägten Küchenallergie leiden, verstehen sicher die entlastende Wirkung. Ich muss mich im Moment einfach nur an den gedeckten Tisch setzten, essen, und im Anschluss auf die Terrasse humpeln um „die Zigarette danach“ zu rauchen. Daran könnte ich mich glatt gewöhnen.

Es gibt jedoch auch Dinge, an die möchte ich mich nicht gewöhnen. Sie waren mir bislang auch gar nicht bewußt und gehören daher zum großen Thema des Perspektivenwechsels. 

So eine Knie OP macht den postoperativen Gang zum Arzt  unumgänglich. Und weil der Arzt nun mal nicht im Freien auf der Strasse praktiziert, muss ich eine mehr oder weniger kurze Strecke zur Praxis zurücklegen. Wildfremde Menschen bleiben stehen, manche mustern mich von oben bis unten, andere stellen Fragen nach meinem Gesundheitszustand. Wieder andere erzählen mir ihre eigene Gesundheitsgeschichte, während wir gemeinsam an einer Fußgängerampel stehen. 

Und wieder zuckt es verdächtig in meinen von Krücken bewehrten Händen. Wegrennen kann ich ja gerade nicht.

Ich überlege in solchen Momenten schon, wie entlastend es sein könnte, den Glotzern und Schwätzern einfach kurz eins mit der Krücke überzuziehen. 

Wenn ihr also demnächst auf jemanden trefft, der in seiner Mobilität eingeschränkt ist….. aufpassen! Es könnte ich sein.

-Fortsetzung folgt-

Text: A. Müller