An manchen Tagen traue ich mich gar nicht das Radio oder den Fernseher einzuschalten. Die Furcht vor neuen Hiobsbotschaften wächst mit jedem neuen Tag an. Krieg, Zerstörung, Klimakrise, Entwertung des Geldes, Schwächung der Schwachen, Pandemie und die immer stärker zu Tage tretende Radikalisierung vieler Menschen machen mir Sorge und machen mich mutlos. Ich kann’s nicht mehr sehen, hören oder lesen. Überall auf der Welt brodelt es und die Unsicherheiten nehmen immer stärker zu. Ich wünsche mich zurück in die Zeiten als ich Kind war und es immer jemand gab, der mich tröstete, schützte und mir versicherte: alles wird gut. So kratze ich dann den letzten Rest meiner Zuversicht zusammen und fahre den Rechner hoch, in der Hoffnung wenigstens im Internet, irgendwo in einer versteckten Ecke, unscheinbar und klein, einen Hoffnungsschimmer zu finden. Es muss ihn doch geben, den Silberstreif am Horizont, jener Schimmer, der mir hilft, den Glauben an die Welt nicht zu verlieren. Obwohl, es ist weniger die Welt an sich, als vielmehr die Menschen, die auf ihr leben, die mich so verängstigen. Die Welt selber ist einfach nur da. Umrundet die Sonne und dreht sich dabei im Kreis. Es wird ihr nicht mal schwindelig während sie durchs Weltall rast. Chapeau, denke ich. Schon cool, wie die blaue Kugel ihre Bahn beibehält. Könnten wir uns mal ne Scheibe von abschneiden.
Stattdessen straucheln wir, also die Menschheit im Gesamten und immer mehr Menschen im Einzelnen. Wir straucheln und stolpern und rennen irgendwie blindlings durch die Gegend. Ohne Ziel und oft auch ohne Verstand, aber immer dem Geld hinterher.
Wir haben im Laufe der Zeit Naturgesetze entschlüsselt und neue Technologien entdeckt, die uns das Leben spürbar erleichtern. Irgendwann in vergangenen Zeiten hat ein findiger Vorfahre bemerkt, um wie viel einfacher Dinge transportiert werden können, wenn man zwei runde Scheiben mit einer Achse verbindet. Ein Meilenstein in der Entwicklung der Menschheit, gar keine Frage. Was daraus geworden ist, können wir jeden Tag beobachten, wenn wir auf dem Weg zur Arbeit sind, Die Räder stehen still. Wir haben’s übertrieben.
Die Sache mit dem Übertreiben scheint sich quer durch alle Zeitalter zu ziehen. Kaum gibt es eine neue Erfindung, wird sie exzessiv genutzt. Kurz nachdem der Buchdruck erfunden war und damit der Verbreitung von Wissen Tür und Tor geöffnet, kamen auch schon ein paar Leute um die Ecke, die nicht Wissen vermitteln wollten, sondern ihre Schriften zum Zwecke der Rebellion veröffentlicht haben. Als immer mehr Menschen des Lesens kundig wurden, war’s vorbei mit dem Glauben an das Gute in der Welt. Irgendwo tauchte immer eine Schrift auf, die Zweifel säte, Wut entfachte oder Ängste schürte. Das ist bis heute so geblieben.
Der uralte Kampf von Gut gegen Böse ist mit der Zeit immer komplexer geworden. Vielleicht war er das ja schon immer und ich hab’s früher einfach nicht bemerkt. Wer ist Gut? Wer ist Böse? Kann das Böse auch ein Stückchen gut sein und umgekehrt? Ehrlich gesagt, habe ich den Überblick verloren. Das haben wir jetzt davon. Geschriebenes Wort, gedruckt oder auf dem Bildschirm, kann so verwirren. Die Klarheit sitzt irgendwo versteckt hinter einem Busch im Wald und traut sich nicht mehr raus. So ein Pech aber auch!
Allerdings muss man der Fairness halber sagen, dass ohne den Buchdruck und ohne die Möglichkeit geschriebenes Wort zu verbreiten, Millionen von wunderbaren Büchern nicht geschrieben worden wären und die damit verbundene Hoffnung auf eine bessere Welt, niemals fruchtbaren Boden erreicht hätte.
Kurzum: fast jeder Erfindung in der Vergangenheit lag der Wunsch nach Verbesserung zugrunde. Das Negative, dass was uns dann stolpern und straucheln liess, kam meist en passant dazu.
Die größten Veränderungen, und da erzähle ich euch ja nichts Neues, gab es in den vergangene 100 – 150 Jahren. Von der industriellen Revolution bis zu schnelleren Kommunikationsformen; von der Verbesserung der Lebensumstände bis zu umfassenden Möglichkeiten der Bildung für alle, von der immer ausgefeilteren Technik bis zur Eroberung des Weltalls: es war und ist alles dabei, was wir uns vorstellen können.
Ob uns diese Entwicklung insgesamt gut tut, mag jeder selbst überdenken. Ob sie uns gut getan hat, werden kommende Generationen entscheiden.
Die heute noch Ungeborenen werden mit erhobenen Fingern und einem gerüttelt Maß an Überheblichkeit in die Vergangenheit zeigen und uns für unser Handeln verurteilen. So, wie wir vorangegangenen Generationen auch verurteilen. Wir zeigen mit den Fingern auf die Massenmörder des Holocausts, auf die Untaten der Kirchen, auf die unrechtmäßigen Eroberungen und Unterdrückungen von indigenen Völkern. Wir empören uns laut (und zu Recht) über die Verfehlungen in der Vergangenheit.
Aber wir lernen nichts daraus.
Wir lernen nichts daraus, weil man Fehler selber machen muss, um daraus zu lernen.
Das ist das Problem.
Statt uns darüber klar zu werden, verplempern wir lieber unsere Zeit damit, mit dem Finger auf andere zu zeigen.
Ich finde, es wird Zeit für eine neue Erfindung. Der Erfindung, wie man es, jeder für sich und alle zusammen, schafft, es endlich endlich besser zu machen.
Ansätze gab und gibt es ja schon genug.
Man weiß z.B. seit den 70er Jahren, wie man die menschengemachte Klimaveränderung verlangsamen könnte.
Man weiß mittlerweile auch, wie viel Energie und wie viele Ressourcen weltweit für die Massentierhaltung verplempert werden und wie wenig Menschen letztendlich davon profitieren.
Stattdessen wird an der Börse über den Anstieg oder Fall von Weizen, Gas, Öl und anderen Ressourcen gewettet. Einige werden damit stinkereich, andere haben halt nichts zu beissen. In Teilen der Welt kämpfen die Menschen gegen Adipositas, Diabetes, Gelenkproblemen mangels Bewegung oder gegen Gefässkrankheiten. In anderen Teilen sterben sie einfach an Unterernährung.
In der Theorie gilt ja immer noch das Prinzip der Solidarität. Die Starken helfen den Schwachen. In der Praxis stützt die Masse der Schwachen das System der Starken. Den Rest regelt der Markt.
Das ist es, was mir solche Angst einjagt, was mir den Schweiß auf die Stirn treibt und mich Nachts nicht schlafen lässt.
In all unserem Wissensdurst und unserem Tatendrang, in all unserem Erfindergeist sind wir immer noch von uralten Strukturen durchwebt. Das Gesetz des Stärkeren gilt auch und gerade in diesen Zeiten. Gleichzeitig wird der Drang zu einer echten Veränderung immer größer. Immer mehr Menschen fragen sich, ob wir so wie bisher weitermachen können. Oder dürfen. Es ist ja nicht nur eine Frage der wissenschaftlichen Erkenntnisse, sondern auch eine der Ethik.
Oder schaffen wir einfach Ethik und Moral komplett ab und wirtschaften den Planeten vollends zugrunde?
Wir werden uns entscheiden müssen.
Bis dahin wird die Sehnsucht uns, euch und mich, täglich begleiten. Die Sehnsucht nach der Leichtigkeit des Seins. Die Sehnsucht danach, dass es (was auch immer „es“ ist) gut wird und dass wir es doch schaffen, aus unseren Fehlern zu lernen.
Text: A. Müller