Vielleicht sind sie aus einer Bierlaune heraus auf die Idee gekommen, waren schon ein wenig angetrunken, oder hatten andere bewußtseinserweiternde Substanzen im Hirn. Dies zu ergründen wird im Nachhinein kaum möglich sein. Für den weiteren Verlauf der Geschehnisse ist es ziemlich unerheblich. Während ihrer Zusammenkunft kamen sie in ihren Gesprächen vom Hölzchen aufs Stöckchen, philosophierten über die großen Fragen der Welt, wie etwa: wer bezahlt mein nächstes Bier? oder: warum klingelt mein Wecker morgens um fünf, wo ich doch eigentlich lieber schlafen würde?
Sie fühlten sich durstig, abgehängt, „von denen da oben“ ausgenutzt und sie hatten überhaupt keine Lust mehr, in diesem Trott weiterzumachen. Tagein tagaus redlich und anständig den eigenen Lebensunterhalt zu verdienen war nicht ganz ihre Sache. Sie wollten kein kleines Rädchen in der Maschinerie der Welt mehr sein. Nein, sie wollten ganz vorne mit dabei sein! Sie wollten selbst eine große Nummer im Gefüge der Gesellschaft werden und dabei ganz leise still und heimlich die Welt verändern! Natürlich nur ihre eigene Welt. Die der anderen war ihnen wurscht.
„Also, wie machen wir das?“, fragten sie sich und nahmen noch einen Schluck oder einen Zug oder eine Line. Nur einen Schuss nahmen sie nicht, denn vor Spritzen hatten sie aus unerfindlichen Gründen Angst.
„Also nochmal: wie machen wir das?“ Sie betrachteten ihre Schuhspitzen, beobachteten, wie eine Spinne ihr Netz im äußersten Winkel des Raumes webte, bohrten sich angestrengt in der Nase oder glotzten einfach blöd vor sich hin, bis endlich einem die rettende Idee kam: „Vielleicht können wir einfach so weitermachen wie bisher. Wir erzählen Blödsinn und versuchen irgendwie Geld daraus zu machen.“ Zustimmendes Nicken allenthalben, „ja, das könnte klappen. Wir könnten so auch herausfinden, wie viel Blödsinn und ausgemachten Bockmist die Leute glauben, bevor sie misstrauisch werden. Lasst es uns herausfinden.“
Und es kam, wie es kommen musste. Das Experiment nahm seinen Lauf.
Die Initiatoren gingen zu Beginn langsam und vorsichtig zu Werke und erzählten zunächst nur einen Blödsinn am Tag und gegen Abend noch einen kleineren Bockmist. Schnell fanden sie jedoch heraus, dass gerade die Dinge, die man nicht für möglich gehalten hätte, auf fruchtbaren Boden fielen. Je öfter und je frecher sie logen, desto mehr Menschen schienen ihnen zu glauben. Es war unglaublich: die Leute wollten getäuscht, betrogen und belogen werden.
Ja gut, nicht alle Menschen wollten das. Es gab schon noch recht viele, die dem Blödsinn nicht vertrauten oder ihn durch wissenschaftliche Tatsachen schonungslos offenlegten. Aber da hatten sich die Urheber des Experiments schon ein paar willfährige wissenschaftliche Zuarbeiter ins Boot geholt, die ebenfalls keine Lust mehr auf Redlichkeit hatten. Gemeinsam gaben sie ihren Anhängern das Gefühl, ihre Sorgen und Ängste zu teilen und sich scheinbar für eine Lösung der unterschiedlichsten Probleme einzusetzen. Sie wogen die Ängstlichen in der Sicherheit der neuen Gruppierung und erzählten ihnen jeden Tag auf’s Neue die schrägsten Lügenmärchen. In sozialen Netzwerken behaupteten sie, die Presse sei unfrei und abhängig und würde den Menschen nur die Informationen geben, die gut für „die Eliten“ seien. Sie warnten vor einem Austausch der Weltbevölkerung und versprachen die Ankunft der galaktischen Föderation. Sie erzählten gruselige Geschichten von unterirdischen Verliesen, in denen süßen unschuldigen kleinen Kindern Blut für die Mächtigen der Welt abgezapft würde. Denn eines hatten die Initiatoren des Experiments schnell gelernt: der Informationsfluss im Internet funktioniert am besten mit Katzenbildchen, süßen Kinderfotos und mit zur Schau gestellter Empörung. Das Internet mit seinen diversen Foren und Plattformen war der geeignete Ort, um nach verängstigten und verunsicherten Menschen zu fischen und mit ihnen Geschäfte zu machen.
Dieses Experiment fand nicht in einem Labor unter wissenschaftlichen Bedingungen statt, dieses Experiment fand in den Weiten der sozialen Medien statt. Kontrollgruppen waren nicht zugelassen.
„Nun gut, die Sache läuft recht viel versprechend.“ konstatierten die Urheber, „nun wollen wir doch mal sehen, ob sich daraus nicht auch noch viel Geld machen lässt.“ Zustimmendes Nicken allenthalben und schon gingen diverse Spendenaufrufe viral. Halt, stop… es waren keine Spendenaufrufe, es waren Aufrufe, den Urhebern des Experiments Geld zu schenken. Zu überweisen auf ihre Privatkonten. Bitteschön. Dankeschön.
Was mit den Geldern geschehen würde, brauchte nun keiner der Initiatoren offenlegen. War ja geschenktes Geld auf privaten Konten. Privatsache sozusagen.
„Das unsere Anhänger viel Blödsinn unwidersprochen teilen und verbreiten, konnten wir in den vergangenen Monaten gut beobachten. Aber das sie so strunzblöde sind und uns ihr sauer verdientes Geld überlassen, ist schon bemerkenswert. Lasst uns das mal noch ein wenig ausbauen.“ Aber zunächst gönnten sich einige Vertreter des Experiments einen wohlverdienten Urlaub im Ausland. Geld spielte keine Rolle, es kam ja immer reichlich Nachschub von den Anhängern. Damit der nicht ausging, dachten sich die Urheber immer weitere schräge Geschichten aus. Sie erzählten Schauermärchen von einem Staat im Staat. Sie prophezeiten die Abschaltung der BRD und des Internets und überließen es ihren Jüngern abzuwägen, was schlimmere Auswirkung hätte. Sie erfanden die Geschichte von den Toten der Masken, später dann die von Millionen von Impftoten. Die Jünger des Blödsinns glaubten all den Stuss und hielten sich für gut informiert und aufgeklärt.
Sie waren entrüstet, welch unglaubliche Gemeinheiten „der Staat“ und „die Eliten“ mit ihnen vorhatten und sie beschimpften alle, die diese Geschichten widerlegten, als Schlafschafe. Sie träumten vom großen Erwachen und merkten gar nicht, dass sie selbst den Alptraum möglich machten. Naja, die Jünger waren halt blöd. Kann man nix machen.
Das Experiment funktionierte wunderbar, die Urheber waren zufrieden. Sie hatten es geschafft, ihr langweiliges Leben ein wenig aufzupeppen, hatten sich von dummen Leuten aushalten lassen und konnten sich einer gewissen Berühmtheit erfreuen. Sie glaubten schon, es ginge nun ewig so weiter.
Aber dann kamen die Sommerferien.
Eigentlich hätte mitten im Sommer der Umsturz stattfinden sollen. Ihr erinnert euch: das abschalten der BRD und der regierenden Parteien? Die Urheber des Experiments hatten dazu noch einmal ganz tief in die Blödsinnskiste gegriffen und ihren Jüngern die Geschichte von den Impfmücken erzählt. Kennt ihr nicht? Ganz kurz: es seien extra Mücken gezüchtet worden, die besonders kritische Menschen ohne ihr Wissen (also das der Menschen, die Mücken wissen genau was sie tun) zu impfen. So wolle der Staat die Impfquote in die Höhe treiben.
Aber zurück zum Text: die Urheber griffen also tief in die Kiste der Lügen und forderten ihre Jünger zur Teilhabe am Umsturz auf. Dazu tourten sie eine zeitlang durch die halbe Republik. Das Dumme war nur: keine Sau kam. Nur ein paar völlig verstrahlte Blödsinnsanhänger kamen zum Tourbus oder zum Umsturz in der Hauptstadt. Ein besonders aktiver Teilnehmer trug dabei ein T-Shirt mit der Aufschrift: „Ich bin ein Idiot“ Selbsterkenntnis kann so einfach sein, wenn man sich Mühe gibt.
Der Rest der Jüngerschar war in Ferien. Man gönnt sich ja sonst nichts.
Vielleicht waren sie es nur leid, immer wieder den Weltuntergang prophezeit zu bekommen und dann doch keine Abschiedsshow sehen zu dürfen. Oder es war ihnen die Rettung der Welt nicht so wichtig wie das eigene Wohlergehen. Man wird es vermutlich nicht herausfinden, es sei denn man wagt sich an eine Bar in irgendeinem „All inclusive“ Hotel an der türkischen Riviera und hört den alkoholgeschwängerten Selbstmitleidsreden von frustrierten AfD Wählern zu. Aber dies zu vertiefen ergibt Stoff für einen weiteren Text.
Zu allem Übel verbot der Staat dann auch noch den oben erwähnten Umsturz und beschlagnahmte die komplette technische Ausstattung desselben. Wie schon vor genau einem Jahr mussten die Anhänger der Blödsinnsekte ein weiteres Mal feststellen: außer Spesen nix gewesen.
Doch unsere munteren Initiatoren ließen sich nicht unterkriegen. Das vergangene Jahr hatte schließlich gezeigt, wie einfach man den Menschen einen Bären aufbinden kann und wie gut es sich davon leben lässt.
Das Experiment hatte sich gelohnt. So viel stand fest. Mit der Verbreitung von Angst und von Lügen, mit dem Weglassen von Tatsachen und dem Verdrehen von wissenschaftlichen Erkenntnissen, kann man sich selbst ins Gespräch bringen und braucht nicht mehr morgens um fünf aufzustehen.
Die Frage, wer das nächste Bier bezahlt ist also hinlänglich geklärt.
Eine Frage jedoch wird noch zu beantworten sein: warum nur fallen im Zeitalter des Internets und der schnellen Zugangswege zu fundierter Information immer noch so viele Leute auf so ausgemachten Blödsinn und seine Urheber herein?
Wie kann es sein, dass das Rattenfängertum gerade jetzt Hochkonjunktur hat?
Diese Fragen, liebe Leser und Leserinnen möchte ich gerne zusammen mit euch ergründen. Schreibt mir doch einfach, was ihr dazu zu sagen habt.
Ich möchte ungern den Blöden und ihren geistigen Führern die Zukunft überlassen.
Text: A. Müller