Jedes Jahr um diese Zeit taucht sie auf, die Frage aller Fragen: „Was wünschst du dir denn zu Weihnachten?“, und jedes Jahr um diese Zeit weiß ich keine Antwort darauf. Friede auf Erden und den Menschen ein Wohlgefallen habe ich mir schon mehrmals gewünscht. Bekommen habe ich es nie. Also nehme ich mir jedes Jahr um diese Zeit vor, im kommenden Jahr meine Wünsche akribisch zu notieren, um auf die Weihnachtsfrage vorbereitet zu sein. Die Vorweihnachtszeit ist ja schon anstrengend genug, wie schön wäre es die Wunschfrage wie aus der Pistole geschossen beantworten zu können.
Das mit den Wünschen ist ja so eine Sache für sich: je konkreter sie sind, desto eher setzt man sie selbst um. Das ist dann richtig blöd für potentielle Schenkende. Bleibt man jedoch in der Äußerung der eigenen Wünsche diffus, steigt das Risiko, etwas völlig Unpassendes geschenkt zu bekommen. Dann sind am Ende auch wieder alle enttäuscht.
Ich kann mich noch gut daran erinnern, wie ich als Kind stundenlang über meinen Wunschzettel gebeugt saß, ihn mit Buntstiften bebilderte und ehrlich hoffte, wenigstens einen der Wünsche erfüllt zu bekommen. Die Abenteuer von Petzi, dem Bären standen lange hoch im Kurs, später wünschte ich mir Bücher aus der „Was ist was?“- Reihe. Eigentlich wünschte ich mir immer Bücher. Da konnte nicht viel schief gehen. Bücher waren konkrete und dennoch bescheidene Wünsche. Die Vorgabe der Eltern, Oma, Onkel, Tanten war allerdings: „Und schreib nicht nur Bücher auf den Wunschzettel!“ Also notierte ich noch ein neues Kleid für die Barbiepuppe auf dem Zettel. Die Arme hatte nach einer heimlich durchgeführten Operation am Kopf ein klaffendes Loch (ich wollte wissen, ob Barbies ein Gehirn haben) und ein neues Kleid würde den verursachten Schaden vielleicht überdecken. Dass die „Operation Barbie“ dadurch erst ans Licht der familiären Öffentlichkeit kam, ist eine andere Geschichte. Allerdings führten die Erfahrungen der nachfolgenden Maßregelungen dazu, beim Schreiben der künftigen Wunschzettel cleverer vorzugehen.
Heute schreibe ich keine Wunschzettel mehr. Die Illusion, einmal notierte Wünsche auch erfüllt zu bekommen, ist in den späten Jahren der Kinder- und Jugendzeit endgültig flöten gegangen. Unser „Grischtkendle“ war nämlich knapp bei Kasse und Schwäbin in Personalunion. Oft gab es aus Kostengründen eine Billigversion des eigentlichen Wunsches. „Des duat’s au.“ schien die himmlische Maxime zu sein. Manchmal versuchte das „Grischtkendle“ sogar, meine intellektuellen Fähigkeiten zu erweitern und brachte statt dem gewünschten Album von Iron Maiden eine Langspielplatte von Mahalia Jackson. Mit 14 findet man das überhaupt nicht lustig.
Mit 14 schmerzt die Diskrepanz von Wunsch und Wirklichkeit besonders. Gerade in diesem Alter möchte man wahr- und ernstgenommen werden. Werden geäußerte Wünsche dann negativ bewertet, oder einfach übergangen, hinterläßt dies Spuren. Spuren, die sich bis ins Erwachsenenalter ziehen und die dafür sorgen, dass man sich nicht unbedingt auf Weihnachten freut. Denn wenn man wiederholt Wünsche äußert und von der Wirklichkeit dann eines Besseren belehrt wird; tja, dann wünscht man sich eben einfach nichts mehr.
„Ja, aber hast du denn gar keine Wünsche?“ werde ich gefragt, wenn ich mit genervtem Gesichtsausdruck sage, ich wünsche mir nichts. Ehrlich, mir tun die Fragenden wirklich leid. Da gibt es Menschen in meinem Umfeld, die mir ehrlich und von Herzen eine Freude machen wollen. Menschen, die mit den Erfahrungen aus Kindheit und Jugend überhaupt nichts zu tun haben und ich reagiere genervt. Es ist nicht leicht mit mir, ich geb’s ja zu.
Aber dann schaue ich mich in der Wohnung um: volle Bücherregale in fast jedem Zimmer, der Kleiderschrank ist auch gut gefüllt. Schöne Bilder mit persönlichem Bezug zu den Künstlern hängen an den Wänden. Das Handy und der Laptop sind ebenso noch voll einsatzfähig und müssen nicht ersetzt werden. Was also sollte ich mir wünschen? Ich hab’ doch alles.
Obwohl… ein paar Wünsche gäbe es vielleicht doch.
In der Winterzeit wünsche ich mir ein zusätzliches Fenster im Wohnzimmer, um jeden Sonnenstrahl einfangen zu können.
Für den Sommer wünsche ich mir zwei Laufenten in den Garten. Dann müßte ich die gefräßigen Schnecken nicht alleine einsammeln.
Im Job wünsche ich mir noch ein weiteres nettes Teammitglied, damit sich die viele Arbeit auf mehreren Schultern verteilt.
Und wenn wir schon mal dabei sind: ein paar Schafe im Garten wären auch toll. Dann müßte sich der nette Nachbar nicht so mit dem Rasenmäher plagen. Alternativ würde auch ein Pony gehen, der Garten ist klein. Die Erbenerbinnen tät’s sicher freuen.
Zum Glück bin ich keine 14 mehr und kann mittlerweile mit der Diskrepanz von Wunsch und Wirklichkeit umgehen. Ich weiß, dass ich zu Weihnachten kein Pony bekommen werde. Schon allein, weil man es so schlecht einpacken und im Schrank zwischen den Socken verstecken kann.
Der Grund meiner Wunschlosigkeit ist einfach: ich bin zufrieden. Alles was ich zu einem komfortablen Leben benötige ist vorhanden. Zusätzliche materielle Dinge sind mir unwichtig geworden.
Wenn ich mir heute also etwas wünschen darf, dann gilt dieser Wunsch nicht nur an Weihnachten: ich wünsche mir ein gutes, freundliches Miteinander, in der Familie, im Job, im Freundeskreis.
Ich wünsche mir offene Ohren, Herzen und Türen.
Ein kurzer und knackiger Wunschzettel, der gar nicht so weit von der Wirklichkeit entfernt ist.
Euch allen wünsche ich einen ruhigen 2. Advent. Bleibt gesund!
Text: A. Müller